Wettbewerb um Asylbewerber

Aufnahme von Asylbewerbern als Last

Der Fall der kleinen aargauischen Gemeinde Oberwil-Lieli ist exemplarisch. An der dortigen Gemeindeversammlung entschied sich das Volk 300‘000 Franken an die Ersatzvornahme des Kantons zu zahlen, anstatt Asylbewerber aufnehmen zu müssen. Die Ersatzvornahme besteht schlicht darin, dass die Unterbringung in einer anderen Gemeinde stattfindet, die ihre Quote eigentlich bereits erreicht hat. Der Aufschrei vonseiten der Medien, dem Gemeindeverband und linken Kreisen folgte sogleich (vgl. Artikel im Blick vom 2. Mai 2016). Die Aufnahme von Asylbewerbern wird zwar gemeinhin als Belastung wahrgenommen. Man soll sich aber aus moralischen Gründen solidarisch zeigen mit Gemeinden, welche bereits eine solche Bürde zu tragen haben. Es gilt diese gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen.

Laut Bundesgesetz und Verordnung weist der Bund den Kantonen gemäss einem Schlüssel eine gewisse Anzahl Asylsuchende zu (Art. 27 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 sowie Art. 21 Asylverordnung 1), die die Kantone dann ihrerseits an die einzelnen Gemeinden verteilen. Der Schlüssel nimmt auf die Kantonsgrösse sowie auf „Schützenswerte Interessen der Kantone und der Asylsuchenden“ (Art. 27 Abs. 3 AsylG) Rücksicht, nicht aber auf den Willen der ansässigen Bevölkerung. Die kantonalen Gesetze sehen in der Regel auch keine Wahl vor. Die Ersatzvornahme im Fall Oberwil-Lieli ist im Grunde eine Strafe für eine nicht erfüllte Pflicht der Gemeinde. Der Umstand, dass die Gemeindeversammlung darüber abgestimmt hat,  lässt jedoch einen interessanten Schluss zu: Die wahrgenommenen Kosten, die der Bevölkerung durch die Aufnahme von Asylbewerbern entstehen, sind höher als 300‘000 Franken. Dem ist jedoch nicht so in der Gemeinde, welche die Asylbewerber anstelle von Oberwil-Lieli aufnimmt. Andernfalls würde eine etwaige Abstimmung zum gleichen Resultat führen. Diese Unterschiedliche Zahlungsbereitschaft sollte genutzt werden.

Ökonomisches Modell liegt auf der Hand

Man stelle sich einen schweizweiten Pool – beispielsweise in Form einer Internetplattform – vor, in welchem Aufnahmekontingente für Asylbewerber versteigert werden. Die Plattform gibt pro Kontingent à (z.B. rund) 10 aufzunehmenden Personen Auskunft über gewisse Charakteristiken. Dies wären beispielsweise Angaben zum Geschlecht, Alter, Ausbildungsstand oder zur Herkunft der Personen im Kontingent. Da es sich dabei um sensible Daten handelt, dürfte die Plattform natürlich nur für ganz bestimmte Personen innerhalb der Gemeinden zugänglich sein.

Zu Beginn des Bieterwettbewerbs setzt eine Gemeinde einen (wahrscheinlich) exorbitanten jährlichen Pauschalbetrag. Diesen Betrag erhält eine Gemeinde, wenn sie die Asylbewerber gemäss schweizweit gleichen Mindestkonditionen (Quadratmeter Wohnfläche etc.) aufnimmt. Er muss so hoch sein, dass jede Gemeinde für die Aufnahme des Kontingents bereit wäre. Somit hat der Betrag nichts mit den tatsächlich anfallenden Kosten für die Unterbringung, zusätzlichen Schulplätzen, allfällige Sicherheitsmassnahmen etc. zu tun. Er widerspiegelt vielmehr die wahrgenommenen Kosten der lokalen Bevölkerung für eine Aufnahme, bzw. deren Zahlungsbereitschaft diese Kosten nicht tragen zu müssen. Die Verantwortlichen der Gemeinden, welche mitbieten, sind dabei als verlängerter Arm der Bevölkerung zu verstehen, welcher die Einwohner richtig einschätzt. Allenfalls könnte bei der Budgetabstimmung ein jährlicher Höchstbetrag festgelegt werden, sodass die Bevölkerung effektiv miteinbezogen wird.

Im Anschluss kann jede Gemeinde auf der Plattform einen tieferen Preis vorschlagen, zu welchem sie noch bereit wäre, das Kontingent an Asylbewerber für eine gewisse Zeit (z.B. drei Jahre) aufzunehmen. Den Zuschlag erhält jene Gemeinde, die den tiefsten Preis anbietet. Diese Gemeinde erhält dann den angebotenen Preis als Entschädigung für die Aufnahme. Typischerweise wird der resultierende Betrag die tatsächlichen plus eine Prämie für latente Kosten enthalten, weil keine Gemeinde bereit ist, die Dienstleistung unter tatsächlichen Kosten anzubieten. Finanzierungsquelle wären alle anderen Gemeinden, wobei die Kostenaufteilung ganz simpel pro Kopf geschehen könnte. In Frage kämen auch die Kantone sowie der Bund als partielle Geldgeber, weil der Bereich Asyl bereits heute eine Verbundaufgabe ist. Aus Anreizgründen müsste die Finanzierungsbeteiligung von Bund und Kantonen jedoch rasch zurückgehen. Bereits heute stellt der Bund seine Ersstattungen der Sozialhilfekosten nach 7 Jahren ein.

Ist die Zeit des Kontingents abgelaufen, fällt es automatisch zurück in den Pool, worauf die Versteigerung von neuem beginnt. Indem die Kontingente nur aufgestockt aber nicht reduziert werden, können Familienmitglieder oder Bekannte zusammengehalten werden, falls das Kontingent von einer anderen Gemeinde übernommen wird. Eine Aufstockung ist notwendig, weil gewisse Personen aus dem Flüchtlingsstatus herausfallen können und die Kontingente damit ständig kleiner würden.

Vorteile des neuen Systems

Der grosse Vorteil eines solchen Systems wäre die breite Akzeptanz in der Bevölkerung. Denn sie hat die Wahl. Der Bund und der Kanton zwingt einer Gemeinde nicht eine bestimmte Zahl von Asylsuchenden auf. Die Gemeinden entscheiden selbst, welches Modell sie verfolgen möchte und sie wird nicht für das eine oder andere stigmatisiert. Das Modell berücksichtigt also die unterschiedliche Zusammensetzung, Einstellung und Wahrnehmung der Bevölkerung einer Gemeinde und kann trotzdem alle Asylsuchenden fair – d.h. (so dass alle einverstanden sind) verteilen.

Weiter kann es neu ein Erfolgsmodell für eine Gemeinde sein, die Asyldienstleistung sehr effizient zu gestalten und damit Einnahmen zu generieren. Effizient heisst dabei nicht zu Tiefstpreisen auf Kosten der Asylbewerber, weil die Gemeinde an gewisse Mindeststandards gebunden ist. Vielmehr hat die Gemeinde einen Anreiz die Asylsuchenden möglichst rasch in den Arbeitsmarkt zu integrieren und die Pauschalzahlung für die drei Jahre trotzdem behalten zu können. Dieser Anreiz funktioniert auch, wenn ein Kontingent ein zweites Mal versteigert wird. Dies weil der Pauschalbetrag dadurch neu festgelegt wird und tiefer ausfällt, wenn die anderen Gemeinden erkennen, dass die meisten Leute des Kontingents vermutlich rasch eine Stelle finden.

Andere Gemeinden positionieren sich lieber als Ort mit weniger oder gar ohne Asylbewerber und leisten dafür eine Zahlung, welche die anderen Gemeinden als gerecht erachtet, da sie den Betrag ja selbst vorgeschlagen haben.

Falsche und echte Herausforderungen

Kritik an diesem Modell ist sowohl von linken wie auch von rechten Kreisen zu erwarten. Die Linke dürfte monieren, dass die Asylbewerber dadurch potentiell von einem Ort an den anderen geschoben werden, je nachdem, welche Gemeinde den tiefsten Preis anbietet. Hierbei ist zu erwähnen, dass es vermutlich eine gewisse Erfahrungskurve geben dürfte. Das heisst, wenn die Gemeinden ihre Leute einmal kennt und mit ihnen Schritte zur Integration eingeleitet hat, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass sie diese Massnahmen weiterführen möchte, um die Lorbeeren zu ernten.

Weiter wird von links der Vorwurf kommen, dass es sich dabei um ein unmenschliches System handelt, da man Menschen nicht „versteigere“. Dem ist zu entgegnen, dass sich beim parlamentarischen Prozess durchaus eine treffendere Wortwahl finden liesse. Zudem ist dies eine eher moralische Kritik, die locker von den praktischen Vorteilen beiseitegeschoben wird.

Auf rechter Seite sieht man vermutlich die geringere Druckmöglichkeit der Gemeinden auf den Kanton oder den Bund generell weniger Asylbewerber aufzunehmen. Dem dürfte in der Tat so sein. Allerdings ist ohnehin fragwürdig, ob dieser Druck tatsächlich etwas bringt. Schlussendlich ist der Kanton im Sandwich und der Druck der Gemeinden auf die tatsächlichen Entscheidungsträger beim Bund verpufft in der Knautschzone Kanton.

Ebenso schwingt die Rechte vermutlich die Kostenkeule. In der Tat dürfte das System höhere Bruttokosten verursachen. Allerdings ist tendenziell mit tieferen Nettokosten (tatsächliche Ausgaben für die Unterbringung etc.) zu rechnen aufgrund der dann richtig gesetzten Anreize. Die Differenz zwischen den Netto- und den Bruttokosten kann die Gemeinde als Einnahme verbuchen, die sie für andere Aufgabenbereiche verwenden kann.

Aus der etwas weniger ideologischen Mitte dürfte das Argument angefügt werden, dass es zu einer Ghettoisierung in gewissen Gemeinden kommt. Dies ist jedoch wenig wahrscheinlich, weil es sich auch eine sehr arme Gemeinde nicht lohnt, möglichst viele Asylbewerber zu tiefen Kosten aufzunehmen. Alleine von den Zahlungen der anderen Gemeinden für diese Dienstleistung wird keine Gemeinde leben können. Die Einträge müssten so hoch sein, dass eine andere Gemeinde einen tieferen Preis anbieten würde und den Zuschlag bekäme.

Schlussendlich ist das Problem von Spill-over Effekten zu nennen. Dies sind nicht abgegoltene Kosten, welche Nachbargemeinden entstehen durch Asylbewerber die eine andere Gemeinde aufnimmt. Vor allem bei eher kleinen Gemeinden ist dies in der Tat nicht auszuschliessen. Der Effekt dürfte jedoch nicht sehr stark sein, weil die tatsächlichen Kosten nach wie vor in der Aufnahmegemeinde anfallen.

Umsetzung

Nicht nur im Asylbereich sondern auch in anderen Politikfeldern sind die Kantone das perfekte Labor. Zwar könnte die Plattform durchaus schweizweit für alle Gemeinden aufgebaut werden. Um die Funktionsweise vorab zu testen und allfällige Kinderkrankheiten zu erkennen und auszumerzen, wäre eine Umsetzung vorab in einzelnen Kantonen sinnvoll. Da der Kanton ohnehin vom Bund ein Kontingent zugeteilt bekommt, kann er darauffolgend nach eigenem Ermessen entscheiden, wie er dieses auf die Gemeinden verteilt. Dort könnte das hier vorgeschlagene System dann erstmals zur Anwendung kommen, bevor es weiter ausgedehnt wird. Bei einem Schweizweiten Einsatz wäre die Kantonsebene als Entscheidungsträger für die Verteilung gar nicht mehr nötig.

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